worum es geht: stadtlandfluss

Montag, 3. November 2008

"das wort aus stein" *
während herr cabman dankenswerterweise ein paar bilder vom bunker im herzen der stadt geschossen hat (deren qualität ich hiermit ausdrücklich preisen möchte), habe ich mich derweil gefragt, wie man diese sonderform faschistischer architektur in den rahmen des bekannten einordnen kann.

bauen im nationalsozialismus war mehr als nur die propagierte abkehr vom neuen bauen, das mit seiner nüchternheit der formsprache und den sozialen standards den machthabern ein dorn im auge war.
bauen im ns bedeutet mehr als die verneinung von flachdachbauten und rückkehr zum angeblich ursprünglicheren satteldach.

der begriff ns-architektur umfasst mehr als die geläufigen repräsentationsbauten. auch die funktion anderer bautypen wie siedlungen, schulen, hj-heime oder pure zweckbauten war dem leitbild des nationalsozialistischen staates unterworfen:
die absicht, das individuum ganz in der "volksgemeinschaft“ aufgehen zu lassen und dem faschistischen darstellungswillen unterzuordnen, fand vielerlei ausdrucksformen.

während die gestaltung offizieller staats- und parteibauten von oberster stelle (der gröaaz gab persönlich die rahmenbedingungen vor) diktiert wurde, war die „blut- und boden-architektur“ im ländlichen raum eher vage definiert und blieb einem gewissen ämterdarwinismus überlassen – häufig war nicht klar geregelt, wer überhaupt dafür zuständig war. zweckbauten zum beispiel waren zum teil ganz ausgenommen aus dem nationalsozialistischen architekturkonzept.
(diese hierarchische gewichtung spiegelt unter anderem auch die tatsache wider, dass es mehr als eine auffassung über die ausgestaltung der idee nationalsozialistischen bauens gab.)

einige sonderformen unter den bautypen können den menschenverachtenden charakter dieser idee unterstreichen: behelfsheime für ausgebombte, konzentrationslager und natürlich die flakbunker wurden akribisch geplant und waren in das gesamtkonzept des faschistischen staates eingebunden.



diese ausformung eines hochgeometrischen „schieß-doms“ sollte in das stadtbild eingebunden werden, in berlin zum beispiel in beziehung stehen zu den geplanten achsen. strategisch schon während des krieges überholt, boten flakbunker als militärische kultstätten wohl eher psychologischen schutz.

in diesem zusammenhang möchte ich auf einen fantastischen artikel** aus der zeitschrift forum wissenschaft hinweisen, deren bezug ebenso fantastisch mit einer mitgliedschaft im bdwi verbunden werden könnte - eigentlich unerläßlich für an bildung- und wissenschaftspolitik "in gesellschaftlicher verantwortung" interessierte...



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* Vgl. ns-propagandafilm das wort aus stein (pdf).

** Vgl. Henning Angerer, Betonierte Machtgesten. Architektur und Symbolik nationalsozialistischer Flakbunker, in: Forum Wissenschaft, Nr.1, Januar 2001, Bonn 2001, S. 10-13.


ansonsten:
- Nerdinger, Winfried: Baustile im Nationalsozialismus, aus: Kunst und Macht im Europa der Diktatoren 1930-1945, London/Barcelona/Berlin 1996, S. 322-325
- Mittig, Hans Ernst: NS-Stil als Machtmittel, aus: Romana Schneider/Wilfried Wang (Hg.), Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 2000, Bd. 3: Macht und Monument, Ostfeldern-Ruit 1998, S. 101-115
- Schönberger, Angela: Die Neue Reichskanzlei in Berlin von Albert Speer, aus: Warnke, Martin(Hg.): Politische Architektur in Europa vom Mittelalter bis heute – Repräsentation und Gemeinschaft, Köln 1984, S. 247-266
- Rodenstein, Marianne/Böhm-Ott, Stefan: Gesunde Wohnungen für gesunde Deutsche. Der Einfluß der Hygiene auf Wohnungs- und Städtebau in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, aus: Gert Kähler (Hg.), Geschichte des Wohnens, Stuttgart 1996, S. 453-556
- Dülffer, Jost/Thies, Jochen/Henke, Josef: Hitlers Städte, Köln 1978, S. 3-25
- Miller Lane, Barbara: Architektur und Politik in Deutschland 1918-1945, Braunschweig 1986, S. 123-206


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Dach überm Kopf
«Stimmungsarchitektur», nennt der Architekturhistoriker Dieter Bartetzko (seit langem Redakteur bei der FAZ) in seinem Buch Illusionen in Stein das auf die Ewigkeit eines Tausendjährigen Reiches gerichtete Bauen der Nationalsozialisten. Als «Werk des schönen Scheins» bezeichnet Bartetzkos Kollege Heinrich Klotz die von ihm so heftig propagierte und verteidigte Architektur der Postmoderne. Hinter diesem schönen Schein Postmoderne, einer inszenierten Aneinanderreihung verschiedenster Baustile zurückliegender Epochen versteckt sich, so der Bremer Architekturprofessor Michael Müller, eine «Entpolitisierung kultureller Modernisierungsprozesse».

Nicht vergessen werden sollte also in diesem Zusammenhang eben auch die Postmoderne. Von ihr sagte Bartetzko Mitte der achtziger Jahre: «Vielleicht ist diese Architektur sozusagen eine gebaute Gnade der späten Geburt. Will heißen: die Architekten gehen zu unbefangen und zu leichtfertig mit Motiven um und schaffen plötzlich Parallelen zur Nazi-Baukunst.» Beispiele gibt es davon einige. Heute spricht nur kaum noch jemand darüber, jedenfalls nicht die Menschen, die's einfach nicht interessiert, worin sie sich bewegen, ob zuhause* oder im öffentlichen Raum. Hauptsache Dach überm Kopf. Denn ins Museum, sagte einst Andy Warhol, gehen die Leute ohnehin nur, wenn's regnet ...

* Wichtig zum Thema, da es das Wohnhaus betrifft, auch:

Frank 1983: Frank, Hartmut: Trümmer. Traditionelle und moderne Architekturen im Nachkriegsdeutschland, in: Grauzonen 1983, S.43-83
 Frank 1984: Frank, Hartmut: Schiffbrüche der Arche. Anmerkungen zur Neuauflage von Paul Schmitthenners Baugestaltung. In: Schmitthenner, Paul: Baugestaltung. Folge 1: Das deutsche Wohnhaus, unveränderte Wiedergabe d. 3. Aufl., 1950, m. e. Einf. v. Hartmut Frank, Stuttgart 1984, S.V-VXII
 Frank 1992: Frank, Hartmut: Heimatschutz und typologisches Entwerfen. Modernisierung und Tradition beim Wiederaufbau von Ostpreußen 1915-1927, in: Reform und Tradition 1992, S.105-131

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wie auf ewigkeit gebaut wurde, kann man natürlich sehr schön an der bauweise der neuen reichskanzlei bewundern: eine moderne stahlkonstruktion, die mit schwerem granit behangen wurde, damit's auch schön wuchtig aussah... und 45 flogen die platten wie legosteine ab.

was den stilistischen und intellektuellen eklektizismus der postmoderne angeht, fragt man sich schon so manches mal, wo bomber-harris ist wenn man ihn mal wieder braucht.
der mist wird da jetzt noch locker vierzig jahre stehen bleiben und in augen und gehirn schmerzen.
da hat man enzensbergers zitat sehr plastisch vor augen:
"jeder städtebewohner weiß, dass die architektur, im gegensatz zur poesie, eine terroristische kunst ist."

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Enzensberger
muß ich da widersprechen (von wann ist diese Äußerung?): Der Städtebewohner weiß das eben nicht, und schon gar nicht jeder! Die meisten interessiert's doch überhaupt nicht. Wie die politische Architektur, etwa nach dem Motto: Da kann man doch nichts machen, die machen doch sowieso, was sie wollen.

Ich bin seit den Sechzigern mit dem Thema beschäftigt. Heute allerdings nur noch wahrnehmend. Wenn ich zu meiner aktiven Zeit darauf hinwies, daß man Politiker und Parteien abwählen könne, ein Gebäude aber durchweg mindestens ein Menschenleben lang stehenblieb, erntete ich in der Regel Schulterzucken. Man kann es aber auch so betrachten: Vielen gefällt diese scheußliche «gebaute Gnade der späten Geburt»! Die Berliner Staatskanzlei ist dabei noch harmlos. Schauen Sie sich die Münchner an! Da haben sie das Armeemuseum auch noch sanft integriert. Reagiert hat die Presse erst, als es schon zu spät war. Die Pläne hatten die Politiker allerdings «zur Ansicht» in einem Keller versteckt.

Und manch ein Museumsbau! Die Stuttgarter Neue Staatsgalerie. Oder, auch hier allen voran: München, das Kulturzentrum Gasteig oder die Neue Pinakothek zum Beispiel. Das paßt doch gut zum Haus der Kunst. Und vielen gefällt das Geprotze. Den anderen ist das allerdings wurscht, weil sie ohnehin nur reingehn, wenn's regnet oder der Lehrer es befiehlt. Ansonsten gucken sie gar nicht hin.

Beispiele ohne Ende. Ricardo Bofil in Paris oder sonstwo noch. Im Namen der Kunst – aus der man die Architektur mal rausgenommen hatte! – hat sich manch eine Politikerriege den einen oder anderen Wettbewerbsorden ans Revers geheftet. Man muß schließlich repräsentieren. Wie die alten Römer. Nein, wie alle Epochen zusammen. Eben.

Mein Gemecker hat nichts geholfen. Klar. Da stehn diese Dinger nun herum, festgemauert in der Erden. Und nun mag ich mich nur noch freuen. An den paar Architekturen, die schön und auch noch benutzbar sind und die's tatsächlich gibt. Durch Kleinstädte mag ich erst gar nicht mehr fahren. Es ist end-, es ist hoffnungslos. Wie in Hessen. Da werden sie jetzt auch wieder das Alte wählen, in dem es so heimelig ist.

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von wann das enzensberger-zitat ist, weiß ich nicht.

aber ich denke doch, wir können uns darauf einigen, dass die architektur der postmoderne zwar scheußlich sein mag und auch peinsam inhaltsleer - aber sicher nicht faschistisch.
eine direkte analogie zur symbolik der ns-architektur kann ich ich nicht erkennen - im umkehrschluß müsste dahinter ja auch die ns-ideologie stehen (was ich in der mehrheit nicht einmal der hessen cdu unterstellen wollte, die sicher vieles dafür getan hat.)

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Faschistisches
bei der Hessen-CDU war damit auch nicht gemeint. Ich meine das Heimelige, den «Heimatschutz» durch das Kleinteilige, eine Gemütlichkeit also, die sich durch darin räkelnde Passivität auszeichnet (mit dem demächst wohl auch hier präsenten sogenannten Cocooning nichts gemein hat): sich durch darin räkelnde Passivität auszeichnet: Am wohlsten fühlt die Sau sich in seiner Suhle. Das meinte ich mit «das Alte wählen»: Bloß nicht darüber nachdenken müssen.

Andererseits ein Applaus für einen Machtprotz immer wieder erkennbar wird, der sich beispielsweise spiegelt im großvolumigen Mobilar, das winzige Räume füllt. Solche Ausstattungssehnsüchte sind beileibe nicht nur für CDU-Stammwähler typisch.

Das Ganze ist sicherlich auch ein ästhetisches Problem: Licht und Luftigkeit, Transparenz ist der meisten Menschen Sache eben nicht. Meine psychologischen Kenntnisse reichen nicht aus, die Gründe dafür herauszufinden.

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ich wollte nur ein wenig den bezug zurück zum ursprungsthema biegen: faschistische architektur im ns in all seinen hierarchien.

der postmoderne liegt keine ideologie der vernichtung zugrunde. (gut, kapitalismus, aber...)

hundertwasser, der hippie unter den häuslebauern, bezeichnete die behausung des menschen als "dritte haut".
vielleicht haben einige menschen bei zu viel transparenz angst vor des kaisers kleidern;-)

es gibt einfach charaktere, die nie lernen durften, was es bedeutet großzügig zu sein, auch mit sich selbst, auch mit dem einem selbst zur verfügung stehenden raum.
manche ertragen nicht mal im eigenen garten eine große rasenfläche und setzen quer mittendurch: einen zaun.
die eigene welt wird so lange sichtbar parzelliert, bis sie verständlich und beherschbar geworden ist
die welt ist dann wieder kleiner geworden und nicht mehr so furchteinflößend groß.

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Richtig, diesen «Hippie»
mögen sie sehr gerne, auch wenn sie die Hippies ansonsten nicht eben zu ihrer Lieblingsspecies zählen. Aber da sei die Kenntnis vor: Hundertwasser eben als solchen gar nicht erkannt zu haben, sondern eher als Architekten des fröhlichen Flohmarktes. Bei letzterem geht's ja auch immer so gemütlich zu, und ein wenig «Chaos» im Leben, zumindest das, was sie unter diesem Begriff verstehen, möchte ja durchaus sein. Wenn auch nicht im eigenen Haus.

Es ist ein schönes Bild, das mit des Kaisers Kleidern. Bleiben wir bei den Herrschern. Die Sehnsucht nach repräsentativer Ordnung zeigt sich im französischen Gemüt: Selbst im kleinsten Gärtchen möchten die Beetchen durch Buxbäumchen parzelliert sein, Klein-Versailles sozusagen. Abschließen soll die Sehnsucht nach dem dereinst Großen dann gerne noch eine große Freitreppe, von der aus sich trefflich in den 200 Quadratmeter großen Garten hinabschreiten läßt.

Sicher doch, das sehe ich nicht anders: diejenigen, «die nie lernen durften, was es bedeutet großzügig zu sein, auch mit sich selbst, auch mit dem einem selbst zur verfügung stehenden raum». An meiner seit Jahrzehnten bestehenden Meinung, daß man auch alles mögliche unternimmt, die geistigen Entfaltungsmöglichkeiten so gering wie möglich zu halten, hat sich nichts geändert. Die Versuche, nach oben zu nivellieren, werden immer geringer, die Absichten, Transparenz durch mehr Bildung zu schaffen, die eine intellektuelle Auseinandersetzung erst ermöglicht, sind aufgegeben zugunsten einer erhöhten Mehrwertschöpfung.

Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Und sicherlich gibt die Postmoderne auch nicht in jedem Fall ein Hinweis auf die NS-Architektur her. Aber in ihrer Klitterei doch immer wieder mal. Mache ich's wie sie, suche hier ein bißchen und nehme von dort ein wenig ...

Um Ihre Seite hier nicht zu überfüllen, setze ich ein paar Gedanken zur Statik bei mir drüben rein.

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nachtrag enzensberger-zitat
Hans Magnus Enzensberger, Bescheidener Vorschlag zum Schutze der Jugend vor den Erzeugnissen der Poesie, in: ders., Mittelmaß und Wahn. Gesammelte Zerstreuungen, Frankfurt am Main 1990, S. 33.

[wolkenkuckucksheim]

(danke)

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