Montag, 14. April 2008
worum es geht: polit

im öko-dschungel
in ihrer ausgabe nr. 10 vom 06. März diesen Jahres hat die jungle world, als "dossier" gekennzeichnet, einen abschnitt aus einer anstehenden buchveröffentlichung ("Biokost und Ökokult") abgedruckt.

es geht in diesem text von dirk maxeiner und michael miersch
um den einfluss der anthroposophischen weltanschauung auf den biolandbau im allgemeinen.

nun mag man bio und öko seltsam finden und an der anthroposophie auch das ein oder andere wahrhaft sonderliche entdecken - die zwanghafte verknüpfung von beidem (um irgendwie beidem eins mitzugeben?) ist nur unter tatsachenverdrehung mit alberner rhetorik möglich. oder man fokussiert auf einen so kleinen teil des gesamtspektrums bis man auch noch das abstruseste tatsächlich beweisen kann - und benutzt dies im rückschluss pars pro toto.

es geht mir wahrlich nicht darum, die ehre der "anthros" zu retten, das sollen die mal selber tun (soweit möglich). Aber man kann einfach nicht - und schon geht es in medias res - zum beispiel urs niggli in die ecke der steiner-befürworter stellen:
Wenn das Obskure allzu deutlich wird, flüchten sie sich in vage Formulierungen. »Die Anwendung von bio-dynamischen Präparaten mag naturwissenschaftlich unverständlich sein«, schreibt Urs Niggli vom Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), »zeigt aber in Langzeit­unter­suchungen gewisse Effekte.«
blöd halt, dass der gute urs selber mit anthroposophie nix am hut hat. schade, dass dies den jungle-leserInnen verschwiegen wird. ebenso, dass einer der autoren (miersch) hier seine "recherchen" eines bereits in der unfassbar emanzipatorischen schweizerischen weltwoche erschienen artikels aufwärmt, der laut niggli (pdf) mäßig gut aus dem cosmos magazine und dem economist zusammengeschrieben wurde. in diesem pdf-file geht niggli auch auf die gebetsmühlenartig von miersch vorgetragene kritik am biolandbau ein, es handele sich angeblich um veraltete anbaumethoden.
und hierher entstammt auch das oben entnommene zitat, das maxeiner/miersch natürlich nicht nachweisen müssen... hier zum beispiel steht es eingebettet in den hinweis, dass etwa drei prozent der (schweizerischen) biolandwirte "biologisch-dynamisch" wirtschaften.
während dessen geht es im text munter drüber und drunter und zahlen spielen erst mal gar keine rolle :
Die Biolandwirte teilen sich in zwei Hauptgruppen. Die einen berufen sich auf Rudolf Steiner, die anderen auf Hans Müller.
das ist also ebenso unglaublich blöd wie falsch - insgesamt ist der ganze steiner-landbau mit seinem demeter-label nur eine mäßig maßgebliche sonderform des biologischen wirtschaftens. müller als protagonist der schweizer bauern-heimatbewegung hat auf den heutigen biolandbau (in der brd oder gar österreich) einen eher geringen einfluss. aber wenn man sagt, dass die meisten biobäuerInnen diesen namen gar nicht kennen, ist dies den autoren wahrscheinlich eher ein weiterer beweis für das illuminatorische des ganzen...
den biopionier, arzt und mikrobiologen hans peter rusch, der ganz wissenschaftlich einen test zur bestimmung der bodenfruchtbarkeit entwickelte, lässt man dann besser auch ganz weg, der passt nicht unter das ko(s)mische mäntelchen, das dem biolandbau hier umgehängt werden soll.
desweiteren ist die zeitlich vorgeschaltete "lebensreform"-bewegung mit ihrem "zurück zur natur" lieber gleich ganz ausgespart worden.

auf niggli und das schon 1973/74 gegründete "fibl" muss man sich als ordentlicher bio-hater natürlich einschiessen, schließlich sitzt hier ja auch die keimzelle allen übels. oder so.

bleiben also die anderen ahistorischen verdrehungen: dem biolandbau vorzuwerfen, er habe sich in der anfangszeit nicht auch schon für gesundheit, umwelt- und tierschutz nach heutigen maßstäben interessiert ist eine binsenweisheit. noch vor fünf jahren war ja nicht mal lohas erfunden...
dass die anthroposophie in der ns-zeit kurz zu ruhm und ehre kommt (um 1941 dann doch verboten zu werden) ist wohl eher der allgemeinen blut-und-boden-mystik zuzuschreiben - als ernsthaft vom
[...]"grünen Flügel" in der NSDAP-Leitung[...],

den [...]grünen Nazi-Funktionäre(n)
und
[...]grüner Gesinnung
zu schwadronieren. das mag ja für leute, die "grün" und "grüne" voll doof finden, kurz erheiternd sein, als argument ist es einfach weniger als nichts.

- dieser text und sehr wahrscheinlich auch das ganze buch schadet dem anliegen einer konstruktiven kritik an heutiger bio-und-öko-praxis, geht man mal davon aus, dass die modernitätsgäubigen "fortschritts"jünger, als die die autoren sich hier gerieren, auch nur ansatzweise ernsthaft daran interessiert sind.

- dieser text schadet in seinem eklektizismus auch dem eher ehrenwerten anliegen einer kritischen auseinandersetzung mit der rolle der anthroposophie in der ns-zeit und steiners absurden lehren.

- dieser text schadet vor allen dingen der jungle world und ihren leserInnen. wenn ich so schlecht verarscht werden will, kann ich mir auch den spiegel kaufen.

update zum weltagrarbericht: "im öko-dschungel II"



neben den hier angeführten links darf man gerne noch auf folgende szene-standardwerke zurückgreifen:
- Vogt, Gunter. Entstehung und Entwicklung des ökologischen Landbaus im deutschsprachigen Raum. Bad Dürkheim: SÖL. 2000
- Rathke, Kurt-Dietrich. Geschichtlicher Abriss der Agrarwirtschaft. In: Rathke, Kurt-Dietrich (Hrsg.) Ökologischer Landbau und Bioprodukte: der Ökolandbau in Recht und Praxis. München: Beck. 2002. S.461
- Melzer, Jörg. Vollwerternährung. Diätetik, Naturheilkunde, Nationalsozialismus, sozialer Anspruch. Stuttgart: Franz Steiner Verlag. 2003
- Niggli, Urs. Ökologischer Landbau in der Schweiz. In: Willer, Helga (Hrsg.). Ökologischer Landbau in Europa. Holm: Deukalion. 1998. S. 233

auf keinen fall kaufen
- und schon gar nicht für 14 euronen - werde ich:
- Maxeiner, Dirk/ Miersch, Michael. Biokost und Ökokult. München: Piper. 2008

* es tut mir ernsthaft leid, dass ich nicht eher dazu gekommen bin, eigentlich wärs (mir) wichtig genug gewesen.

* und wenn mir die jungle world noch mal so einen gequirlten...organischen dünger serviert, bleibt sie in zukunft am bahnhof liegen. neben der jungen freiheit. dann ist schluss mit mitleid und ich werde sie nicht mehr retten!

* dieser eintrag wäre ohne die vorrecherche einer anderen person, an deren diplomarbeit ich mich in teilen anlehnen konnte, nicht innerhalb so kurzer zeit realisierbar gewesen. danke dafür.

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